Besonderheiten bei der Verwendung der Libertine/Libertinus-Schriftart


Die Libertine-Schriftart ist eine meiner Lieblingsschriftarten: Sie ist vorzüglich zugerichtet und ausgebaut; es ist eine Freude mit ihr zu arbeiten. Im folgenden gehe ich auf einige Besonderheiten ein. Zum Fork Libertinus siehe unten.

Verwendung in LaTeX

Die Libertine ist bei jeder TeX-Distribution dabei. In einem LaTeX-Quellcode reicht es aus, das Paket »libertine« in die Präambel zu laden, vorzugsweise als letztes:

\usepackage{libertine}

Mit der optionalen Option osf werden Mediävalziffern aktiviert:

\usepackage[osf]{libertine}

Wer in seinem Dokument Formeln verwendet, sollte zusätzlich das folgende Paket laden, um einen zur Libertine-Schriftart passenden Formelsatz zu erhalten:

\usepackage[libertine]{nextxmath}

Als Brotschrift sieht die Libertine im Druck am besten in 11 pt aus, der Zeilenabstand ist in der Voreinstellung gut wie er ist und benötigt keine nachträgliche Anpassung. Ein Satzspiegel, der mit DIV=9 geregelt wurde, scheint mir am besten geeignet.

Bei langen Texten sollten immer die Minuskelziffern aktiviert werden. Wer Versalziffern für Tabellen oder erweiterte Ligaturen benötigt, muß zwangsläufig XeTeX verwenden.

Verwendung in LibreOffice Writer

Nach zahlreichen Druckversuchen mit unterschiedlichen Schriftgrößen und Zeilenabständen halte ich folgende Einstellungen für am besten geeignet:

  • Grundschriftart ist die Libertine in 11 pt bei einem proportional leicht erhöhten Zeilenabstand von 105 %.
  • Titel und große Überschriften ab 16 pt nutzen den Display-Schnitt, bei Zwischenüberschriften reicht die Libertine Regular mit 14–16 pt.
  • Die Fußnotengröße ist bei einer 11er-Grundschrift mit 9 pt am besten.

Zur Libertine Graphite

Die Graphite-Abspaltung basiert auf dem Libertine-Projekt, macht aber darüber hinaus alle OpenType-Features der Schriftart in LibreOffice zugänglich.

 

Hat man beide, die Libertine und die Libertine Graphite, auf seinem System installiert, wird man beim Umschalten seines Textes in die eine oder andere Libertine keine Veränderung bemerken; auch im Druckbild sind die Texte deckungsgleich. Verwendet man jedoch die Graphite-Version, hat man nunmehr Zugriff auf zahlreiche OpenType-Facetten, etwa das Umstellen der Ziffern auf Mediävalziffern, Proportional- oder Versalziffern, automatische Spationierung von Tausender-Nullen, die durchgestrichene Null, alternative Buchstabenformen, alternative Fußnoten-Numerierung, optischen Randausgleich, historische Ligaturen, Zurichtungsverbesserungen, außerdem automatische Ersetzungen, z.B. griechische Buchstaben bei Eingabe von Ziffern oder in Kreise eingeschlossene Ziffern, und vieles mehr.

 

Diese Möglichkeiten kann man normalerweise in LibreOffice nicht erschließen, d.h. man reizt die Schriftart eigentlich gar nicht richtig aus.

 

Um die Arbeit einfacher zu gestalten, gibt es eine spezielle Erweiterung für LibreOffice, genannt »Typography toolbar«. Man kann sie wie eine Werkzeugleiste einblenden und erreicht über Buttons die oben genannten Features und noch einige mehr.

 

Alternativ kann man die zu verwendenden OpenType-Feature-Tabellen-Codes auch dem Schriftarten-Namen mitgeben:

  1. Öffnen der Zeichen-Formatierung für den markierten Text, Tab »Schriftart«.
  2. Hier gibt man hinter den Schriftarten-Namen die zu verwendenden Tabellen-Codes an (die man natürlich kennen muß), z.B.

Linux Libertine G:hang=1&ss02=1

 

damit wird der optische Randausgleich aktiviert (erzeugt im Vergleich mit der »normalen« Libertine tatsächlich ein harmonischeres Satzbild!) sowie das StyleSet Nr. 2, das u.a. ein alternatives Versal-R erzeugt.

Prinzipiell empfehle ich, die Graphite-Version zu nutzen, allein schon wegen des optischen Randausgleichs.

 

Doch Achtung! Die Verwendung der Graphite-Version bringt sehr viel mehr automatisch gesetzte Ligaturen mit sich, u. a. ft, fh, fb und tt. Viele davon sind im Deutschen unüblich bzw. treten nur an Wortverbindungen auf: Beispielsweise wird man die Ligatur fb wohl nie innerhalb eines Wortes, sondern nur an Wortfugen finden (»Lauf-bahn«). Hier darf keine Ligatur gesetzt werden, sie muß mit einem sog. »weichen Trennzeichen« wieder aufgelöst werden. Als weiteres Beispiel sei die fk-Ligatur genannt, die nie innerhalb einer (deutschen) Silbe auftritt, sondern nur an Wortfugen, wie bei »Brief-kuvert«.

 

Weiche Trennzeichen sind in LibreOffice einzufügen über

  • Einfügen | Formatierungszeichen | Weiches Trennzeichen
  • ODER über das Tastenkürzel: Strg+Bindestrich.

Das Dokument muß also nach Abschluß der inhaltlichen Bearbeitung über die Suchen-Funktion auf eben diese Ligaturen geprüft werden. Treten sie an Wortfugen auf, muß ein weiches Trennzeichen eingefügt werden. Insbesondere ist das wichtig an Stellen des Zeilenumbruchs, denn die Ligaturen werden zum Aufbruch nicht aufgelöst. Da ergeben sich seltsame Umbrüche wie »hatt-e«, weil die tt-Ligatur nicht aufgelöst wird. Anderes Beispiel: »kauft-e«, natürlich auch falsch.

Vergleich Libertine vs. Times (New Roman)

Noch immer wird ja die Times (New Roman) von Morrison & Lardent (1931) als die Standard-Schriftart für Dokumente (Briefe, Diplomarbeiten usw.) benutzt und weitreichend zitiert. Obwohl es eine Unzahl alternativer (und freier) Antiqua-Schriften gibt, werden diese oftmals als bloße Abwandlungen der Times abgetan und abgelehnt; die Times ist der Standard, die Times soll genutzt werden. Leicht fällt das sicherlich jedem, da sie auf einem Windows-Betriebssystem oder spätestens mit Installation einer MS Office-Anwendung auf den Rechner kommt. GNU/Linux-Anwender können ein Set nicht-freier Schriften inkl. der Times aus den Paketquellen nachinstallieren.

 

Obwohl die Times ursprünglich für den Zeitungsdruck geschnitten wurde, sodaß sie auch auf grobem Papier und bei zügigem Druck noch lesbar ist (und dabei keine Serifen wegbrechen), wird sie heute bei allerlei nicht so optimalen Gelegenheiten benutzt. Zum Beispiel als Bildschirm-Schriftart beim Tippen eines Briefs am PC, oder als Schriftart bei an die Wand projizierten Vortragsfolien. Die Times ist deswegen keine schlechte Schriftart; sie wird allerdings etwas zu weitreichend eingesetzt und soll auf Medien arbeiten, für die sie gar nicht gedacht ist.

 

Im Vergleich mit der Libertine (die viele nicht einmal optisch auf den ersten Blick von der Times unterscheiden können), will ich nun darauf hinweisen, daß die Libertine durchaus die bessere Wahl für schriftliche Korrespondenz im Druck sein könnte (nicht für die Bildschirm-Wiedergabe! – hierfür nutzt man besser serifenlose Schriftarten!). Ich habe zwei Beispieltexte mit denselben Einstellungen gedruckt und miteinander verglichen, hier das Ergebnis:

  • Bei 1-fachem Zeilenabstand scheint die Libertine einen sinnvolleren Durchschuß zu haben und ist damit einfacher lesbar.
  • Die Libertine hat größere Ober- und Unterlängen, die zur Unterscheidbarkeit der Buchstaben und damit zur Lesbarkeit beitragen.
  • Die Libertine hat nicht so scharfe und spitze Serifen, sodaß sie im Druck nicht so leicht wegbrechen können, z.B. bei H, z, N.
  • Die Libertine hat ausgeglichenere Strichformen, d.h. der Strichstärkenkontrast zwischen dicken und dünnen Linien eines Buchstabens ist nicht so ausgeprägt, z.B. beim Z, T oder N. Auch das trägt zur besseren Lesbarkeit und fehlerfreiem Druck bei.
  • Die Libertine hat schlankere Ziffern und Minuskel-Buchstaben, was reizvoll und wenig aufdringlich wirkt. Auch das Komma ist bei der Libertine unauffälliger.
  • Die Kursive der Libertine ist unauffälliger und paßt besser zur Aufrechten. Damit entfällt eine »Fremdkörper«-Kursive wie bei der Times (und auch Adobe Garamond).
  • Die Times hat eine leicht geringere Laufweite, sodaß Texte kompakter gesetzt werden können. Das spricht im Zweifel für die Times, wirkt aber manchmal auch unangenehm gedrängt. Das offene Satzbild der Libertine beansprucht zwar mehr Platz, läßt sich aber auch leichter lesen, da Buchstaben nicht »ineinanderfließen«.
  • Die Zurichtung bei der Libertine erscheint mir durchdachter, z.B. bei den Buchstabenpaaren AV oder To.

(Folgendes hat nichts mit der Times zu tun): Die Eingabe von Standard-Ligaturen wie fi und fl führt bei Nutzung der Libertine zum automatischen Setzen der entsprechenden Ligatur, während es bei Verwendung der Times New Roman Einzelbuchstaben bleiben. Die Glyphentabelle der Times enthält auf jeden Fall Ligaturen. Bei einer Nachstellung der Situation in MS Office Word zeigt sich, daß hier weder bei der Times New Roman noch bei der Libertine Ligaturen gesetzt werden. Das scheint also ein Problem der Textverarbeitung und nicht der Schriftart selbst zu sein. Aber es ist ärgerlich.

Der Fork »Libertinus«

Nachdem das Linux-Libertine-Projekt mit Version 5.3 vor einigen Jahren schon eingefroren war, wurde es als sog. »Libertinus«-Schriftfamilie reanimiert. Die Linux Libertine heißt dort »Libertinus Serif«, die Biolinum ist die »Libertinus Sans« usw. Es gibt wie bei der Linux-Libertine-Familie auch einen Font für Tastatur-Tasten, einen Display-Schnitt und einen separaten Mathe-Font.

 

Prinzipiell begrüße ich, daß diese vorzügliche Schrift jetzt mit Bugfixes aktuell gehalten wird. Das können freilich nur Korrekturen im Detail sein, da die Linux Libertine seinerzeit bereits ausgereift und weitgehend fehlerfrei gewesen ist. Ergänzungen in Form neuer Glyphen sind selbstverständlich immer willkommen.

 

Die Libertinus zeichnet sich als Fork, wenig überraschend, durch dieselben Stärken aus: Vorzügliche Lesbarkeit, großartiger Ausbau an Glyphen, vielfältige Nutzungsmöglichkeiten durch Display-Schnitt und Math-Font, Kapitälchen und all die anderen Spielereien, die Texte lebendig werden lassen. Umso mehr erstaunt, daß die Libertinus in der Top-Ten-Liste nicht dieselbe Position wie die Linux Libertine belegt (sollte sie dies als Fork nicht?). Abzüge in der Bewertung gab es bei der Zurichtung.

 

Dem recht jungen Libertinus-Projekt wünsche ich Erfolg und hoffe, daß die geforkte Schrift durch sinnvolle Ergänzungen ein Alleinstellungsmerkmal erreicht. Wie wäre es mit echten Designgrößen für 8 pt, 12 pt und 16 pt?