Metrische Klone


Im Milieu von Schriftarten spricht man bei sog. metrischen Klonen von solchen Schriftarten, die sich wie ein Ei dem anderen gleichen oder ähneln. Hier betritt man rasch das Feld der Urheberrechtsverletzungen, denn die (absolut exakte) Nachbildung von Schriftarten (und deren Vertrieb unter anderem Namen) ist meist untersagt oder entsprechend der Lizenzbestimmungen geregelt. Aus diesem Grund orientieren sich Schriftengestalter gerne an beliebten und erfolgreichen Schriften (Helvetica, Times u.a.) und verändern minimale Details, wie das Ende einer Serife oder den offenen Winkel im Y. Insbesondere die bekannte Arial steht im Ruf, ein billiger Abklatsch der Helvetica zu sein (mehr dazu unten).

Metrische Klone sind andererseits sinnvoll im Rahmen der Schriftarten-Ersetzung: Angenommen, man erhält ein Textdokument mit einer Lizenzschrift wie Helvetica (Linotype), hat diese Schrift selbst aber nicht auf dem System installiert. Beim Öffnen des Dokuments wird eine nicht vorhandene Systemschrift automatisch durch einen möglichst ähnlichen Vertreter ersetzt. Ist der aber sehr verschieden (Laufweite, x-Höhe), kommt es zu Verschiebungen im Dokument-Layout. Dem entgeht man durch metrische Klone. So entsprechen die freien Schriftarten Liberation Sans und Liberation Serif weitgehend der Arial und Times, so daß man nach dem Öffnen des Dokuments keinen Unterschied sieht.

Manche Schriftendesigner erstellen Klone für ein festes Set der beliebtesten Schriften (die sich auch namentlich oftmals am Original anlehnen):

  • Helvetica = URW Nimbus Sans, TeX Gyre Heros, GNU FreeSans, Liberation Sans, Microsoft Arial, Chrome OS Arimo
  • Times = URW Nimbus Roman, TeX Gyre Termes, GNU FreeSerif, Liberation Serif, Microsoft Times New Roman, Chrome OS Tinos
  • Courier = URW Nimbus Mono, TeX Gyre Cursor, GNU FreeMono, Liberation Mono, Microsoft Courier New, Chrome OS Cousine
  • ITC Avant Garde = URW Gothic, TeX Gyre Adventor
  • ITC Bookman = URW Bookman, TeX Gyre Bonum
  • ITC Zapf Chancery = URW Chancery, TeX Gyre Chorus
  • Palatino = URW Palladio, TeX Gyre Pagella
  • New Century Schoolbook = URW Century SchoolBook, TeX Gyre Schola

… um einige zu nennen. Und von Garamond-Klonen brauche ich gar nicht erst anfangen …

Helvetica-Klone


Die Helvetica war (und ist) ein Musterbeispiel für schweizer Schriftendesign und war ein echter Kassenschlager, als die Schrift Ende der 1950er erschien (Designer war Max Miedinger). Die Helvetica hat zahllose Nachahmer inspiriert und wird bis heute für ihre "kühle Sachlichkeit" geschätzt, wenn auch nicht für umfangreiche Fließtexte (Prosa).

Umso interessanter ist die Frage, welche der Klone tatsächlich "würdig" sind und einen guten, kostenlosen Ersatz abgeben. Die Helvetica ist im Original-Kauf (bei Linotype) ja nicht ganz billig.

Für diese Studie habe ich 18 sehr ähnliche, mutmaßliche und vorgebliche Klone mit der Linotype-Helvetica verglichen, und zwar hinsichtlich Glpyhenbau und Laufweite. Vorab: Es gibt nur 4 gute bis sehr gute Klon-Schriften; die Arial gehört aber nicht dazu.

Gute Klone

Die Nimbus Sans ist der vermutlich beste Klon der Helvetica: Die Glyphen sind quasi deckungsgleich; Großbuchstaben sind minimal höher; Lochpunzen (b, d, q, p) unwesentlich breiter. Die Ziffern 7 und 5 sind unmerklich höher. Ohne detaillierte Ansicht in Groß-Zoomstufe kann man die Zeichen von der Helvetica nicht unterscheiden. Die Laufweite ist geringfügig höher. Das Lizenzmodell der Nimbus Sans ist etwas undurchsichtig, denn es gibt zahlreiche Varianten. Für den Freund freier Schriftarten ist nur die Variante Nimbus Sans L interessant, die unter freier Lizenz (GPL) steht und mit über 700 Glyphen alle Bedürfnisse abdecken sollte.

Interessant: Die Nimbus Sans L wiederum ist ein deckungsgleicher Klon der TeX Gyre Heros, obwohl die Nimbus etwas enger läuft. Die TeX Gyre Heros ist eine freie, kostenlose Schriftart.

Ein weiterer guter Klon ist die Swiss 721 (Linotype), bei der die Glyphen im Vergleich zur Helvetica weitgehend deckungsgleich sind. Lediglich manche Versale laufen enger (auffällig beim R), ebenso das Eszett. Lochpunzen der Kleinbuchstaben d, g, q und p sind wiederum etwas größer. Das Kreuzchen steht diagonal, die Ziffer 4 ist oben abgeschnitten.

Die Schriftart GNU FreeSans ist ebenfalls ein absolut deckungsgleicher Klon der Helvetica. Lediglich die Ziffern 5 und 7 sind geringfügig höher. Es ist der einzige Klon im Test, der schmaler als das Original läuft. Es handelt sich um eine freie, kostenlose Schriftart.

Die Helvetica selbst erfuhr mit der Helvetica Neue eine Überarbeitung (Max Miedinger, Edouard Hoffmann, 1988), die mich aber nicht überzeugt. Im Vergleich zum Original sind die Großbuchstaben geringfügig schmaler; Loch-Punzen (d, g, p, q, o) größer; Kleinbuchstaben geringfügig weiter (v.a. t); Bindestrich weiter; das Eszett viel schmaler.

Schlechte Klone

Schlechte Klone unterscheiden sich von der Original-Helvetica in zu vielen Einzelheiten. Markante Unterscheidungsmerkmale zur Helvetica sind:

  1. Helvetica hat eckige Punkte (i, j)
  2. Helvetica hat eine kleine gebogene Fuß-Serife am Kleinbuchstaben a.
  3. Helvetica hat einen mehr oder weniger stehenden R-Fuß (statt einer Schräge).

Die Arial hat zahlreiche Unterschiede zur Helvetica: C offener, G ohne Fuß, Q-Strich gewunden statt gerade, R mit geradem Fuß, V offener, a ohne Schleifenserife, c und e geringfügig offener, f-Kopf ausladender, t mit schrägem Dach, r-Abschluß zeigt nach unten (nicht nach oben), ß mit Schlangenlinie; Kommata kürzer, Plus-Zeichen vertikal höher, Ziffern oben höher, 1 beginnt mit geradem Anstrich, 2 ohne Biegung.

Arimo: Versale flacher, C offener, G ohne Fuß, J mit Anstrich, Q-Schwänzchen mittig und gebogen, R mit gestrecktem Fuß, V und W weiter, c und e offener, t oben angeschrägt, s kürzer, ß mit Schlangenlinie, Kommata kürzer, Plus-Zeichen vertikal höher, Fragezeichen ausladender; Ziffern sehr unterschiedlich: 1 mit Standbein, 2 gerader, 6 und 9 kürzer, 7 anders gebogen. Die Arimo ist ein perfekter Klon der Liberation Sans!

Humnst 777: Versale schmaler und flacher, geometrisch anders, c und e sehr offen, erhebliche Unterschiede bei Minuskeln, Interpunktion und Ziffern.

Hanken Grotesk: Versale schmaler, C offener, J mit Kopfdach, M-Mitte berührt nicht den Boden, R mit schrägem Fuß, a ohne Fußserife, c und e offener, 3-geschossiges g, l mit Fußbiegung, Minuskeln generell flacher, y ohne Fußbiegung, ß stark gewunden, Kommata sehr verschieden, 2 „durchhängend“, 6 und 9 ohne Endbiegung.

DejaVu Sans: C offen, G ohne Fuß, J ganz anders, K-Knoten anders, M-Mitte berührt nicht den Boden, Q-Schwänzchen anders, R mit diagonalem Fuß, Y höher gekehlt, a ohne Fußschleife, c und e offen, Minuskeln generell höher, f und t ausladend, s offen, 0 stark gewunden, Kommata brachial, Interpunktion verschieden, Ziffern völlig anders. Die Bitstream Vera Sans ist ein glyphenmetrischer und laufweitenmetrischer Klon der DejaVu Sans!

Akzidenz-Grotesk: Versale zuweilen breiter, J kürzer, Q-Schwanz kürzer und nicht in der Punze, R-Fuß gestreckt, Minuskeln auffällig niedriger, ß schmaler, Komma gestreckt, ? mit scharfer Kurve, Ziffern verschieden, 2 und 7 mit Haken.

Andere Schriften wie Roboto, Work Sans, Inter oder Open Sauce Sans unterscheiden sich in noch mehr Einzelheiten. Es handelt sich um keine ernstzunehmenden Klone der Helvetica.