OpenType-Merkmale mit LibreOffice Writer nutzen


Einleitung

Gut ausgebaute und moderne Schriftarten enthalten sog. OpenType-Merkmale (im folgenden als OTM abgekürzt), das sind typographische Mechanismen, um einen Text zu verändern. Ein geläufiges Beispiel sind Ligaturen (Buchstabenverbindungen), aber auch alternative Buchstabenformen (zweigeschossiges statt dreigeschossiges Minuskel-g) oder Ziffernsets gehören zu den bekanntesten Funktionen.

Ob eine Schriftart OTM unterstützt, ist nicht auf den ersten Blick erkennbar; bei neueren Schriftarten ist dies meist der Fall. Manche Schriftarten unterstützen nur die wichtigsten OTM (Ligaturen, Zurichtung), andere sind mit Dutzenden weiteren Funktionen ausgestattet – Auskunft gibt das Handbuch oder die Dokumentation zur Schriftart. Die Schriftart Junicode ist dahingehend sehr umfangreich programmiert und dient in den folgenden Beispielen als Satzschriftart. Ob eine Schriftart OpenType unterstützt, und wenn ja, welche Funktionen möglich sind, kann man mit Hilfe der Webseite FontDrop prüfen. Hier wird die Schriftartendatei (.ttf oder .otf) einfach per Drag & Drop auf die Webseite geschoben, und man erhält neben anderen Metainformationen (Designer, Erscheinungsjahr, Lizenz) Angaben zu OpenType-Blöcken und eine Glyphentabelle.

Zu OpenType-Blöcken werde ich mich an dieser Stelle nicht ausführlich auslassen. Ich bitte um Verständnis, wenn ich für die folgenden Beispiele nur einige wenige OTM herausgreife, aber die Aktivierung aller anderen Merkmale (das Kürzel besteht stets aus 4 Zeichen, meist Buchstaben) ist analog zu den gezeigten Beispielen.

Nur soweit das wichtigste. Folgende Tabelle listet die OpenType-Merkmale einschl. einer (englischen) Beschreibung auf. Die Merkmale sind gruppiert und zahlreiche Blöcke gelten auch nur für bestimmte Sprachregionen, beispielsweise südasiatische Alphabete. Auch die Gruppe „Schreibrichtung“ sollte für den mitteleuropäischen Anwender nicht weiter wichtig sein. Interessant wird es bei „Ziffern und Mathematik“ und „Ligaturen und Alternativbuchstaben“. Zur Anwendung siehe unten.

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OpenType-Merkmale in der Übersicht
OpenType_Features.ods
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Beispiel 1: Kapitälchen

Es wird sich nicht gleich erschließen, weshalb „Kapitälchen“ ein OTM sein sollen. Schließlich kann ich die wie bisher mit LibreOffice Writer einstellen:

Abb. 1
Abb. 1

Der Name (hier: „Hans Dampf“) wird markiert, dann per Rechtsklick im Kontextmenü die Zeichenformatierung ausgewählt. Auf dem Reiter „Schrifteffekte“ findet man unter „Schreibweise“ den Eintrag „Kapitälchen“ (Abb. 1). Ist doch einfach!

Abb. 2
Abb. 2

Und so sieht das Ergebnis aus.

Was stimmt damit nicht? – Richtig, es sind keine Kapitälchen, jedenfalls keine echten. Stattdessen erhalten wir „falsche“ Kapitälchen, denn Writer macht es sich einfach und skaliert Großbuchstaben etwas kleiner. Der Unterschied wird auffällig, weil die Strichdicke der Anfangsbuchstaben (H und D) etwas wuchtiger erscheint als der Rest.

Korrekt macht man es mit Hilfe von OpenType – aber nur, wenn die Schriftart auch mit einem Set an echten Kapitälchen ausgestattet ist!

Abb. 3
Abb. 3

Wieder wird das Zeichenformatierungsmenü aufgerufen. Diesmal verweilen wir auf dem ersten Reiter „Schrift“ und ergänzen den Namen der Schrift („Junicode Medium“) mit dem Anhang smcp. Dazwischen steht ohne Leerzeichen ein Doppelpunkt. smcp steht für small caps, dem englischen Ausdruck für Kapitälchen.

Abb. 4
Abb. 4

Bestätigt man den Dialog, erhält man das Ergebnis (Abb. 4). Diesmal haben wir echte Kapitälchen (vgl. Abb. 2): Die Strichdicke stimmt überein!

Für gewöhnlich sind Abfolgen von Großbuchstaben (auch Kapitälchen) etwas zu spationieren (sperren). Das kann man bedarfsweise über die Textformatierung vornehmen (siehe Abb. 3: hier diesmal auf dem Reiter „Position“ den „Zeichenabstand“ anpassen, z.B. 0,5 pt).


Beispiel 2: Seltene Ligaturen

Historische Ligaturen oder Schmuckligaturen können eine schöne Ergänzung für Überschriften oder kurze Textabschnitte sein. Mit Ausnahme der Standardligaturen fi und fl sollte man es damit aber keinesfalls übertreiben oder sie gar generell aktivieren, denn sie vermindern die Lesbarkeit. Ligaturen und Zeichnvarianten stecken in den OTM hlig, hist, dlig, clig, salt, swsh und einigen mehr (Beschreibung siehe über oben verlinkte Tabelle zu OpenType-Merkmalen).

Bei der gezeigten Schriftart Junicode findet man unter dem Block dlig („discretionary ligatures“) Schmuckligaturen, die heute nur noch selten gebraucht werden. In deutschen Texten sind nicht alle diese Ligaturen sinnvoll, da manche Buchstaben-Paare wie ct, außer in Fremdwörtern, allenfalls an der Wortfuge auftreten.

Abb. 5
Abb. 5

Abb. 5 zeigt den Ausgangstext.

Abb. 6
Abb. 6

Das betreffende OTM wird aktiviert im Formatierungsdialog, indem man das gewünschte Kürzel (dlig) mit einem Doppelpunkt an den Schriftartennamen anhängt.

Abb. 7
Abb. 7

Abb. 7: Ergebnis (untere Zeile).


Beispiel 3: frac / nalt

Mit aktiviertem OTM frac werden Schrägstrich-getrennte Ziffern mit einer ansprechenderen Darstellungsvariante ersetzt. Mit nalt können alternative Darstellungen aktiviert werden:

Abb. 8
Abb. 8

Abb. 8: Die Ausgangssituation.

Abb. 9
Abb. 9

Diesmal wurden die OTM direkt in die Schriftartenanzeige in der Formatierungs-Symbolleiste von Writer eingegeben (roter Rahmen). Oben das Ergebnis nach einem angehängten frac, unten nach einem angehängten nalt.


Beispiel 4: Ziffern-Sets

Man soll es nicht glauben, aber es gibt in gut ausgebauten Schriftarten vier Ziffern-Sets:

  • onum = oldstyle figures (Standard bei Junicode)
  • tnum = tabular figures
  • pnum = proportional figures
  • lnum = lining figures.

onum enthält sog. Minuskelziffern (Mediävalziffern), d. h. Ziffern mit Ober- und Unterlänge, geeignet, um in Fließtexten nicht aufzufallen. Sie sind üblicherweise „proportional skaliert“, haben also nicht alle dieselbe Dicke (eine 1 ist schmaler als eine 5). lnum ist das Gegenteil von onum: Hier haben alle Ziffern die gleiche Höhe. tnum enthält sog. Tabellenziffern, d. h. alle Ziffern haben dieselbe Breite. So werden sie in einer Tabellendarstellung exakt untereinander ausgerichtet, was das Lesen erleichtert. pnum ist wiederum das Gegenteil von tnum, denn es steht für Ziffern mit proportionaler Skalierung. Es liegt auf der Hand, daß die Ziffernsets kombiniert werden sollten:

Abb. 10
Abb. 10

Man beachte in der dritten Zeile von Abb. 10, daß hier zwei OTM kombiniert wurden (tnum und lnum gleichzeitig), und zwar mit einem zwischengeschalteten Kaufmanns-Und (&). Auf diese Weise kann man beliebig viele OTM verketten.


Beispiel 5: Gestrichene Null

Abb. 11
Abb. 11

Das OTM zero tauscht die Standard-Null gegen eine Variante mit Querstrich aus. Das ist hilfreich für die Unterscheidung vom Großbuchstaben O. Wie in Abb. 10 gezeigt, lassen sich mehrere Funktionen verketten (3. und 4. Zeile in Abb. 11).


Beispiel 6: Ornamente

Abb. 12
Abb. 12

Mit dem Schalter ornm werden aus den Buchstaben abc… verschiedene Zierelemente. Nicht jede Schriftart enthält derartige Ornamente.


Beispiel 7: Stilistische Alternativen

Die OTM ss01, ss02ss20 (oder mehr) schalten auf verschiedene Buchstaben-Varianten um. Diese sind nicht standardisiert verteilt, so daß man das Schriftarten-Handbuch (Dokumentation) konsultieren muß um zu sehen, was z.B. hinter ss05 steckt. Im Beispiel ersetzt ss08 alle runden s-Formen der Antiqua mit dem langen s, das heute nicht mehr gebräuchlich ist (siehe auch hier).

Abb. 13
Abb. 13

Obere Zeile ohne aktiviertes OTM, untere Zeile mit ss08. Der blaue Pfeil markiert, daß man dennoch aufpassen muß. Es werden nämlich rigoros alle Positionen mit einem langen s ersetzt, das es am Wortende aber nicht gibt. Es wäre beim blauen Pfeil also falsch. Programmierte Fraktur-Schriftarten (empfehlenswert: Ligafaktur) beachten diese Positionen und Wortfugen; sie setzen automatisch die korrekte Form.


Anwendung in Absatzvorlagen

Sinnvoll ist die Festlegung von OTM bei der Nutzung von Absatzvorlagen (siehe auch hier). So legt man für den Fließtext, die Überschriften, Titelei, die Fußnoten usw. jeweils andere hilfreiche OTM fest.

Abb. 14
Abb. 14

Eine Beispiel-Festlegung für den Fließtext.

Abb. 15
Abb. 15

Eine Beispiel-Festlegung für Überschrift 1.

Das OpenType-Merkmal liga schaltet die Standardligaturen zu und ist üblicherweise standardmäßig aktiviert. Es muß nicht angegeben werden.


Schlußbemerkung

smcp (Kapitälchen) ist ein Muß für korrekte Typographie, alles andere sind nur Spielereien.